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Editorial

Psychotherapeutische Konzepte bei Demenz

 

Die Fachdisziplinen Psychiatrie und Psychotherapie sind einer enormen fachlichen Entwicklung ausgesetzt. Der Schwerpunkt Jugendpsychiatrie ist bereits seit einigen Jahren anerkannt. Die anderen psychiatrischen Disziplinen Alterspsychiatrie und Forensik sind als Schwerpunkt von der Ärztekammer erst seit 2005 akzeptiert. Andere medizinische Disziplinen z.B. die Innere Medizin, haben diesen Entwicklungsprozess vor mehreren Jahren umgesetzt, durch Generierung zahlreicher Subfächer. Die Psychiatrie hinkt hinterher.

 

Das Altern, ein heterogener Prozess mit verschiedenen Dimensionen der menschlichen Existenz, zeigt sich in unterschiedlichen Verlaufsformen. Die gesellschaftliche Rolle des modernen Alters definiert sich ständig neu. Dies hat Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaftsstruktur, wobei das Alter in all seinen Formen aktuell stärkeren Veränderungen unterliegt als in der Vergangenheit. Die Alterspsychiatrie deckt ein breites Spektrum verschiedener Störungsbilder (z.B. Depression, Demenz usw.) ab, welche unterschiedliche konzeptuelle Vorgehensweisen benötigen.

 

Aus der klinischen Erfahrung wissen wir, dass die Behandlung von demenzkranken und depressiven Patienten auf der gleichen Station weder der ersten noch der zweiten Patientengruppe gerecht wird. Störungsspezifische Behandlungsmethoden in stationären Settings erweisen sich als erfolgreich. Was die therapeutischen Ansätze – störungsspezifische Behandlungssettings – beinhalten, wird im folgenden Beitrag am Beispiel der Memorystation der Klinik Littenheid erläutert.

 

Personenzentrierter Ansatz

Der personenzentrierte Ansatz wurde von Tom Kitwood (englischer Sozialpsychologe aus den neunziger Jahren) entwickelt. In der Sozialpsychologie ist der Begriff «Person sein» vielfältig und bezieht sich auf die Selbstachtung, die Wahrnehmung der eigenen Rolle in einer sozialen Gruppe sowie Integrität, Stabilität und Kontinuität des Selbstwertgefühls. Gemäss Kitwood ist es entscheidend den Begriff «Person sein» im Sinne einer Beziehung zu sehen, um Demenz überhaupt verstehen zu können. Diese sozialpsychologische Haltung wurde schon im Jahre 1922 von Martin Buber in seinem Buch «I and Thou» beschrieben. Er sagte: «Das wirkliche Leben ist die Begegnung». Kitwood geht davon aus, dass alle Ereignisse im Erleben einer Person ihr Gegenstück in den Hirnaktivitäten haben und dass der Prozess der Demenz ein dialektisches Wechselspiel zwischen Faktoren der Neuropathologie und der Psychologie ist.

 

Die Arbeit mit schwachen, verletzlichen und verwirrten Menschen löst viele Ängste aus, die unser grundlegendes Sicherheitsempfinden bedrohen. In einigen Kulturen hat sich eine Tendenz etabliert, Menschen mit schweren körperlichen oder seelischen Behinderungen zu depersonalisieren. Die Betreuungsqualität der demenzkranken Menschen hängt aber primär von der Qualität der Beziehung und der positiven Interaktionsfähigkeit des Behandlungsteams ab.

 

Milieutherapie

Die Milieutherapie zielt auf umweltbezogene, umfassende Massnahmen ab. Die Selbständigkeit soll erhalten und gefördert, das pathologische Verhalten reduziert oder abgebaut werden. Psychotherapie ist am erfolgreichsten, wenn eine interdisziplinäre Zusammenarbeit aller Berufsgruppen in ein integratives Konzept eingebunden wird.

 

Die Milieutherapie bei der Demenz stellt ein umfassendes Betreuungskonzept dar. Sie beinhaltet das fachliche Personal, die agierenden Angehörigen, die gezielte Gestaltung des Tagesablaufes und auch die räumliche Umgebung (Möbel, Farben, Gerüche, usw.). Die adäquate Gestaltung der Umgebung bietet Schutz, Sicherheit und Geborgenheit, um die Selbständigkeit zu erhalten und das Selbstwertgefühl zu stärken.

 

Spezielle kognitive Programme und multimodales Gedächtnistraining

Clare und Wilson (2004) entwickelten zahlreiche Hilfen um das Erinnerungsvermögen zu optimieren. Ermini-Fünfschilling (1995) entwickelte in der Memory Klinik Basel ein multimodales Gedächtnistraining. Die Übungen beziehen sich auf Orientierung, Konzentration, Gedächtnis und Entspannung mit dem Ziel, die Alltagskompetenzen und die Lebensqualität der Dementen zu steigern. Das kognitive Training, Psychoedukation und Verfahren zur sozialen Unterstützung der Patienten und Angehörigen, soll eine Besserung der Stimmung und Stabilisierung der kognitiven Leistungen erzielen.

 

Resultate der basler Studie (12-monatiger Verlauf, multimodales Gedächtnistraining im Vergleich mit Kontrollgruppe) zeigten, dass die Patienten mit Gedächtnistraining im Vergleich zur Kontrollgruppe eine bessere individuelle Lebensqualität aufwiesen.

 

Realitätsorientierungstraining (ROT)

Dieser Ansatz hat das Ziel die kognitiven Fähigkeiten zu steigern und alle Orientierungsqualitäten zu verbessern und ist der bis heute am besten erforschte Behandlungsansatz. Die Schwerpunkte liegen auf der Kommunikation, Interaktion und Milieugestaltung, die rund um die Uhr die Orientierung verbessern und die realen Gegebenheiten korrigieren.

 

Validation

Das Behandlungskonzept wendet bestimmte Kommunikationstechniken an, welche die emotionalen Botschaften der Betroffenen zum Ausdruck bringen. Dadurch entwickeln die Patienten Fähigkeiten ihre Gefühle zu zeigen. Dadurch können ihre Bedürfnisse erkannt und ihre Situation kann stabilisiert werden. Im Gegensatz zu ROT wird hier die Realität der Betroffenen nicht korrigiert, sondern validiert (gültig erklärt). Die Gefühle der Sicherheit und Zugehörigkeit steigern das Selbstwertgefühl, mindern den Stress und die Angst. Ausserdem nehmen die unkontrollierten Wutausbrüche deutlich ab.

 

Selbsterhaltungstherapie

Das übergeordnete Ziel dieses Behandlungskonzeptes ist die Erhaltung der eigenen Identität. Dieses Verfahren ist bis heute das am besten untersuchte Behandlungsverfahren bei einer Demenz.

 

Das Selbstsystem entsteht aus Erinnerungen, Gewohnheiten und Erwartungen, die Grundlage für Handeln und Erleben bieten. Die Erfahrungen die das «Selbst» verletzen (Misserfolge) werden durch die kognitiven Defizite aktiviert und lösen negative Gefühle wie Scham und Versagensängste aus, die dann die auffälligen Verhaltensweisen (z.B. Weglauftendenz) aktivieren.

 

Viele andere Therapieansätze wie die basale Stimulation, Erinnerungstherapie, das Drei-Weltenmodell und das Kompetenzmodell zählen heutzutage zu den unverzichtbaren störungsspezifischen Ansätzen bei der Demenzbehandlung. Die stimulationsorientierten Verfahren wie Musik-, Tanz-, Kunst-, Aromatherapie in modifizierter Form haben längst ihren Platz bei der Behandlung von demenzkranken Menschen gefunden.

 

Die intensive Begleitung der dementen Patienten stellt eine hohe emotionale Anforderung an das Betreuungsteam. Die Behandlung der Menschen mit schwerer kognitiver Beeinträchtigung fordert uns. Übliche Muster wie übertriebene Geschäftigkeit und zielgerichteter, leistungsorientierter Hyperkognitivismus sollen weichen und der Welt der Emotionen, wo der Körper und seine Funktionen im Einklang stehen und dem Leben aus dem Instinkt heraus näher sind, Platz machen.

 

Die ethische Haltung westlicher Philosophie lehrt uns, dass jede Person einen absoluten Wert besitzt. Unsere Verpflichtung besteht darin, einander mit tiefem Respekt zu behandeln und niemals als Mittel zu einem Zweck zu benutzen. Die therapeutischen Massnahmen sollten auf die individuellen Ressourcen und den Grad der Ausprägung der Erkrankung zugeschnitten sein. Die Schulung von Angehörigen ist notwendig, um eine verlaufsstabilisierende Behandlung zu erzielen. Psychotherapie sowie Milieutherapie einerseits und Pharmakotherapie andererseits schliessen sich nicht gegenseitig aus, sondern ermöglichen den gewünschten Behandlungserfolg.

 

Dr. med. Jokica Vrgoc-Mirkovic Leitende Ärztin Gerontopsychiatrie, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Littenheid



 
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