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Parkinson-Update

Einleitung

Der Morbus Parkinson ist mit einer Prävalenz von 1-3% im höheren Lebensalter in der hausärztlichen Betreuung häufig. Die Betreuung der Patienten ist anspruchsvoll. Die Erkrankung ist nach wie vor nicht heilbar. Internistische Begleiterkrankungen erschweren die Behandlung und der ebenfalls älter werdende Partner beansprucht den Arzt als Ansprechperson zusätzlich.

 

Nach der Einführung der «Wunderpille L-Dopa» konnte der Beginn von relevanten Behinderungen hinausgeschoben werden, mit dem längeren Überleben der Patienten kamen aber neue Probleme, sowohl auf den Patienten wie den Behandelnden zu. So sind Dyskinesien, Fluktuationen und sogar der zu Beginn meist gut behandelbare Tremor nach wie vor auf Dauer nicht befriedigend therapierbar.

 

Nachdem längere Zeit ein gewisser Stillstand in der Medikamentenpalette zu verzeichnen war, kamen ab den Neunzigerjahren neue therapeutische Optionen auf den Markt, worunter die Dopamin-Agonisten und COMT-Hemmer die wichtigsten sind. Durch die Vielfalt der jetzt verfügbaren Substanzen wurde aber auch die Wahl der optimalen Behandlung umstrittener.

 

Dieser Artikel vermittelt ein kleines Update über neuere Erkenntnisse der Pathophysiologie und ein mittleres Update über die Therapieoptionen.

 

Pathophysiologischer Hintergrund

Das pathophysiologische Wissen über den idiopathischen Morbus Parkinson (Parkinson Disease, PD) hat sich lange Zeit auf die Vorgänge in den Basalganglien konzentriert. Die Verarmung der Pars compacta der Substantia nigra an dopaminergen Neuronen mit entsprechender Fehlsteuerung der Schleifen in das Striatum, den Globus pallidus, den Nucleus subthalamicus und den Thalamus, sind seit längerem bekannt.

 

Mittlerweise wissen wir auch von den Lewy-Bodies, den akkumulierten Alpha-Synucleinen, die in den betroffenen Zellen an präsynaptische Vesikel binden – aber auch von der Vulnerabilität von anderer Hirnregionen, vor allem der dünn myelinisierten Zonen wie dem limbischen System, visceromotorischen Kernen, aber auch Teilen des Cortex. Sogar periphere Neuronen, vor allem des autonomen Nervenssystems, sind betroffen. Somit können nicht-motorische Symptome im Krankheitsverlauf erklärt werden.

 

Damit ist eine Brücke geschlagen zu den selteneren Formen, den mittlerweile als Synucleopathien zusammengefassten Erkrankungen des ZNS. Bei diesen, wie z.B. den Multisystematrophien, stehen einzelne dieser nicht-motorischen Symptome im Vordergrund.

 

Andererseits wird ein theoretisches Kontinuum von PD über die Lewy-Body-Demenz bis zum M. Alzheimer diskutiert. Herausragend aus der Flut der Informationen ist die Theorie von Braak et al., dass sich der PD pathophysiologisch im Gehirn aufgrund der zeitlichen Entwicklung des Befalls in 6 Stadien einteilen lässt:

  • 1. Dorsale Vaguskerne und Bulbus/tractus olfactorius
  • 2. Medulläre Raphekerne, Locus coeruleus, Teile der Formatio reticularis. Phasen 1+2 gehen der Diagnose meist voraus, ein Verlust des Geruchssinns kann ein Vorbote sein, ebenso eine Störung von vegetativen Funktionen.
  • 3. Amygdala, basales Vorderhirn, Pars compacta der Substantia nigra.
  • 4. Temporaler Mesocortex, Telencephaler Cortex. Stadien 3+4 entsprechen den ersten motorischen Symptomen, meist verbunden mit der Diagnosestellung. Es wird die frühe Beteiligung von kognitiven rsp. Gedächtniszentren belegt.
  • 5. Stadium 5 mit sekundären sensorischen Assoziationsfeldern, präfrontalen Anteilen des Neocortex.
  • 6. Befall von primären sensorischen Assoziationsfeldern, prämotorischen Feldern, schliesslich auch von primären Arealen des Neocortex. In Stadium 5+6 werden weitere, im späteren Verlauf auftretende Störungen, wie Planungsstörungen, aber auch Schmerzen erklärt.

Aufgrund dieser Erkenntnisse sind die nicht-motorischen Beschwerden von Parkinsonkranken auch im theoretischen Wissen etwas erhellt worden. In der Praxis sind sie auch vermehrt ins Blickfeld gerückt, da sie den Patienten auch beeinträchtigen. Auf die entsprechenden Therapien wird weiter unten eingegangen.

 

Medikamentöse Behandlung der motorischen Symptome

Hauptsymptom des M. Parkinson bleibt die klassische, klinische Trias von Rigor, Tremor und Bradykinese, sowie als viertes Kardinalsymptom die Beeinträchtigung posturaler Reflexe. Ins Zentrum der medikamentösen Bemühungen ist mittlerweile eine möglichst nebenwirkungsarme und kontinuierliche Unterstützung der dopaminergen Funktionen gerückt. Stark schwankende Medikamentenspiegel und die generelle Gabe von L-Dopa im Frühstadium (bei Patienten unter 70) werden nach Möglichkeit vermieden, da sie für spätere Komplikationen wie Fluktuationen mit schwierig kontrollierbarem On/Off und früh auftretenden Dyskinesien verantwortlich gemacht werden. Der Behandlung der Dyskinesien selbst wird höhere Wichtigkeit beigemessen.

 

Nachfolgend eine Zusammenstellung der gängigen gegenwärtigen Optionen:

 

  • Die L-Dopa-Präparate mit Benserazid (Madopar DR®), rsp. mit Carbidopa (Sinemet CR®) sind weiterhin Startmedikation der Wahl bei Patienten über 70 Jahren. Eine niedrig dosierte Mehrfachgabe, verteilt auf mindestens 3 Gaben, ist einer bedarfsorientierten Einfachgabe vorzuziehen. Mit den retardierten Präparaten sind in der Regel aufgrund der schlechteren Bioverfügbarkeit um 20-30% höhere Dosierungen notwendig. Die unter den nicht retardierten Präparaten früher «übliche» Maximaldosierung von 750 mg kann so in fortgeschrittenen Fällen langsam aufsteigend bis 1’200 mg ausgereizt werden. Andererseits verspüren gewisse Patienten bei den retardierten Präparaten den Wirkungseintritt zu wenig, so dass sich hier alternativ das nicht retardierte Präparat anbietet.
  • Ein Ausgleich des L-Dopa-Spiegels wird mit den COMT-Hemmern angestrebt. Der Name kommt von Catecholamin-O-Methyltransferase, dem «anderen» Abbauweg des L-Dopa (der «eine» Weg wird bereits seit Jahrzehnten durch die Decarboxylase-Hemmer behindert). Das Entacapone (Comtan®) wird in der Dosierung 200 mg bis 5 x tgl, gleichzeitig wie das L-Dopa gegeben, die Kombination der Wirkstoffe L-Dopa, Carbidopa und Entacapone ist unter dem Namen Stalevo® auf dem Markt und wird zunächst in denselben Intervallen wie das L-Dopa-Produkt eingesetzt. Allerdings muss beim Umstellen vom reinen L-Dopa-Präparat die L-Dopa-Dosis um 20-30% reduziert werden, um nicht Dyskinesien, Durchfall und Übelkeit hervorzurufen. Anschliessend kann langsam nach Bedarf wieder gesteigert werden. Der andere COMT-Hemmer auf dem Markt, das Tolcapone (Tasmar®, 3 x 100 mg tgl), ist etwas potenter als das Comtan®. Allerdings muss aufgrund von seltener, aber nicht vorhersehbarer Hepatotoxizität im ersten Behandlungsjahr alle 14 Tage eine Laborkontrolle stattfinden und die Indikation soll durch den Neurologen gestellt werden.
  • Ausblick zum Thema L-Dopa: In unseren Nachbarländern ist unter dem Namen Duodopa® eine Duodenalsonde zur kontinuierlichen L-Dopa- Gabe teils bereits erhältlich. Damit kommt das Medikament direkt und kontinuierlich an seinen Resorptionsort.
  • Die Dopamin-Agonisten Pramipexol (Sifrol®) und Ropinirol (Requip®) sind nicht-ergolide Agonisten, welche heute zur ersten Wahl bei Patienten unter 70 Jahren gehören. Sie müssen aber langsam eindosiert werden. Das Requip® liefert dazu eine Starterpackung, an deren Ende nach 3 Wochen aber immer noch eine erst relativ geringe Dosis erreicht wird (3 x 0.75 mg). Manchmal tritt eine deutliche Wirkung erst ab Tagesdosen von 6 mg ein. Das braucht allseits Geduld und der Wirkungseintritt ist nicht so spektakulär wie beim L-Dopa. Sifrol® muss ebenfalls eintitriert werden, der Wirkungseintritt kommt eher schneller und ist in 3 Wochen sichtbar. Häufige Nebenwirkungen dieser Medikamente sind neben Schläfrigkeit auch Nausea und Ödeme.
  • Eine interessante Perspektive bezüglich Galenik bietet der in den nächsten Monaten zu erwartende Rotigotin®-Patch, ein transdermales System, welches die Vorgabe einer kontinuierlichen Medikamentenabgabe bestens erfüllt. In den Frühphasen wird damit eine Reduktion des UPDRS-Scores Teil III (Motorik) um 3-4 Punkte erzielt. Diese Skala ist nicht linear. Bei leichter Erkrankung und tiefen Werten sind 4 Punkte erheblich, später ist manchmal bereits die Streubreite im Rating verschiedener Untersucher grösser als 5 Punkte. Bei jungen PD-Patienten ist der Patch sicher eine Option.
  • Die ergoliden Agonisten sind historisch gesehen Nachfolger von Bromocriptin (Parlodel®). Es handelt sich um Cabergolid (Cabaser®), Pergolid (Permax®) und Dihydroergocriptin (Cripar®). Sie haben den Vorteil der unbestrittenen Wirksamkeit. Cabaser (1 bis 6 mg tgl) hat eine sehr lange Halbwertzeit von 72 h, aber die möglichen Nebenwirkungen von Fibrosen, Herzklappenveränderungen und Raynaud-Syndrom können gravierend sein. Ich verwende diese Medikamente deshalb nur in zweiter Linie, habe aber auch Patienten, die nur dank Permax (eintitrieren, maximal 6 mg auf 3 Dosen verteilt) «gut gehen».
  • Auch Apomorphin ist ein Dopaminagonist, welcher aber nur technisch aufwändig, mittels (externem) Pumpensystem und subcutan liegender Nadel kontinuierlich verwendet wird und entsprechendes Know-how und Support benötigt. Eine hauptsächliche Nebenwirkung kennen wir bereits von einer anderen Indikation: Apomorphin ist ein potentes Emetikum.
  • In der Palette der frühzeitigen Behandlungsopitonen sind auch die MAO-Hemmer wieder aufgetaucht, nachdem das Selegilin (Jumexal®), nicht zuletzt wegen der beschränkten Wirksamkeit, etwas in den Hintergrund gerückt war. Als verbesserter Nachfolger wird neu das Rasagilin (Azilect ®) angepriesen. Gemäss Hersteller handelt sich um einen irreversiblen, sehr selektiven MAOB Hemmer, der nur einmal täglich gegeben werden muss, der keinen Tyramineffekt hat und nicht zu Amphetamin abgebaut wird. Er ist seit Frühjahr 2006 neu erhältlich. Start- und Enddosis 1 x 1 mg. Kontraindikation: Weitere MAO-Hemmer, Fluoxetin, Fluvoxamin (andere SSRI mit Vorsicht erlaubt)
  • Weiterhin gibt es immer noch das Amantadin (PKMerz ®). Wegen der Möglichkeit der parenteralen Gabe (3 x 100 mg, wie oral) sehr interessant, um Zeiten von erzwungener Nahrungskarenz zu überbrücken, z.B. perioperativ. Schliesslich gibt es Tremorformen, die für eine gewisse Zeit fast nur mit Biperiden (Akineton®, bis 2 x 4 mg retard/d) kontrollierbar sind.
  • Speziell zur Behandlung der Fluktuationen wartet auch eine neue Substanzklasse in der Parkinsontherapie auf die Zulassung: Der Adenosin- Rezeptor–Antagonist Istradefyllin. Weitere mehr oder minder wirksame Substanzen zur Kontrolle dieses Phänomens sind Levetiracetam®, Amantadin ®, und Clozapin®.
  • Die tiefe Hirnstimulation (DBS) hat sich an einigen Zentren etabliert und liefert mittlerweile auch derart gute Resultate, dass man sie bei fortgeschrittenem Verlauf durchaus erwägen sollte. Ich gehe aber an dieser Stelle nicht detaillierter darauf ein. Eine vorgängige Beratung durch den damit erfahrenen Spezialisten muss naturgemäss in jedem Fall erfolgen.

Behandlung nicht-motorischer Phänomene und nicht-medikamentöse Therapien

Zunächst muss darauf hingewiesen werden, dass die Optimierung der dopaminergen Therapie oft auch die nicht-motorischen Phänomene bessert. Falls das nicht reicht (und es reicht leider oft nicht), sollten entsprechend dem Leidensdruck des Patienten und der Angehörigen weitere Therapien erwogen werden.

 

Gegen die Nykturie und Urge-Inkontinenz sind Anticholinergika auch bei PD wirksam, ich verwende Tolterodin (Detrusitol®) oder Oxybutynin (Ditropan®). Hier, wie auch beim oben erwähnten Akineton, müssen unbedingt die Nebenwirkungen des plötzlichen Harnverhalts und der Verwirrtheit beachtet werden. Eventuell hilft aber bereits eine Urinflasche neben dem Bett gegen die Mühsal des nächtlichen Toilettengangs.

 

Gegen die Schwindelgefühle und Orthostase, die oft gemeinsam auftreten, gibt es neben der obligaten Bouillon und dem Effortil® noch das Fludrocortison (Florinef®). Auch hier sind aber Gangschulung, Ganghilfen bis zum Rollator mit «Bänkli» und Beratung der Begleitpersonen sinnvoll.

 

Die Opstipation ist ein grosses Thema für viele ältere Patienten. Trotzdem sind diese oft kaum zu bewegen, genügend Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Obige Bouillon kann dabei in den Therapieplan eingebaut werden. Die Ernährungsberatung wird Ratschläge zur ballaststoffreichen Kost erteilen, oft werden von der eingelegten Feige über Darmbäder bis Domperidon (Motilium®, hilft auch gegen die medikamentös induzierte Übelkeit) weitere Hilfsmittel benötigt.

 

Für jüngere Patienten kann die erektile Dysfunktion ein Thema sein. Sildenafil (Viagra®) und die Nachfolgesubstanzen wirken auch hier.

 

Im späteren Verlauf oder bei dopanimerger Überdosierung trifft man Verwirrtheit und Demenz an. Erste Massnahme ist hier das Durchkämmen der Medikamentenliste und die Elimination aller Anticholinergika. Auch Tricyclica gehören hier durch SSRI ersetzt, viele Parkinsonpatienten erhalten ja auch Antidepressiva. Trazodon (Trittico®) ist auch eine Alternative, in einigen kleineren Studien ist es darunter sogar zu einer Verbesserung der motorischen Parkinsonsymptome gekommen.

 

Steht die akute Verwirrtheit im Vordergrund, ist ein atypisches Neuroleptikum in niedrigster Dosierung zu verwenden, Quetiapin (Seroquel®) 12.5 mg oder Clozapin (Leponex®) 6.25 bis max. 25 mg. Letzteres hilft bei abendlichen Störungen (sundowning), schnell durch seinen schlafanstossenden Effekt. Andere Neuroleptika sollen bei PD nicht verwendet werden.

 

Besteht eine störende Parkinsondemenz, hat das Rivastigmin (Exelon®) die Zulassung zur Behandlung erhalten, der Beginn erfolgt mit 1.5 mg 1-0-1. Als Reservemedikament kann ein Benzodiazepin verwendet werden, z.B. Lorazepam (Temesta®) 1 mg. Angstlösend und leicht antidepressiv, bessert es einen emotional verstärkten Tremor. Es ist Einschlafhilfe und verträglich mit der übrigen Medikation. Gelegentlich kann es paradox wirken bezüglich Schlaf und bessert langfristig die Demenz sicher nicht.

 

Schliesslich ist es wichtig, auf weitere nicht-medikamentöse Behandlungsformen hinzuweisen. Parkinsonpatienten erleben eine soziale Isolierung. Grund dafür kann die schlecht verständliche Sprache, verbunden mit der initialen Sprachhemmung sein. Hier ist eine logopädische Begleitung sinnvoll. Bereits erwähnt habe ich den Wert der physiotherapeutischen Schulung, nicht nur wegen des Ganges und zur Sturzprävention, sondern auch zum Erhalten der Beweglichkeit. Die Betreuer der Patienten im Alltag, also meistens der Partner, sind dankbar, wenn der Kranke etwas mithelfen kann bei Mobilisation und Transfer. Auch um Schwierigkeiten zu Hause aus dem Weg zu schaffen ist eine physio- oder ergotherapeutische Beratung von hohem Wert, und wenn es sich auch «nur» um Toilettenaufsätze, am richtigen Ort montierte Handgriffe oder angepasstes Essbesteck handelt. Und vergessen wir nicht den Stellenwert der Beratung der Angehörigen. Nebst dem Arzt sind hier Selbsthilfegruppen sowohl für Betroffene wie für Angehörige gute Ansprechpartner.

 

Dr. med. Jürg Fritschi, Facharzt FMH für Neurologie, Thun



 
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