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Die Bedürfnisse von Schwerkranken, Sterbenden und ihren Betreuern

Ergebnisse eines nationalen Surveys in der Schweiz.

 

Fünfzig Prozent aller Krebskranken versterben auch heute noch an den Folgen dieser Diagnose, und häufig ist die medizinische Versorgung dieser schwerkranken und sterbenden Menschen immer noch gekennzeichnet durch eine ungenügende Symptomkontrolle, durch Konflikte in der Entscheidungsfindung und Verantwortlichkeit der betreuenden Fachpersonen. Auch eine Vorausplanung bezüglich möglicher Komplikationen und die frühzeitige Erkennung einer Überforderung sowie einer Erschöpfung der familiären Ressourcen werden bemängelt. Die Gründe hierfür sind vielfältig, wurzeln aber nicht zuletzt in einer medizinischen Philosophie, die das Heilen von Krankheiten und eine Verlängerung des Lebens in den Vordergrund stellt. Dies gilt nicht nur für Krebserkrankungen. Im Rahmen eines nationalen Forschungsprojekts unterstützt vom Bundesamt für Gesundheit, geht diese Untersuchung der Frage nach, welche Bedürfnisse nicht nur die Schwerkranken und ihre Angehörigen, sondern auch ihre Ärzte und Therapeuten haben. In vergleichbaren Untersuchungen in anderen Ländern kristallisierten sich auf Seiten der Betroffenen neben «existential concerns» ( u.a. Wissen um den Sinn und die Bedeutung des eigenen Lebens, Bewahren von Hoffnung), «family concerns», die Sorge um «physical symptoms» (v.a. Schmerzen) und die konsequente Suche um intensive und wahrheitsgetreue Information heraus [1]. Dies schliesst bei den meisten Patienten auch das Wissen um die Krankheitsprognose ein.

 

Die Arzt-Patienten-Kommunikation spielt hierbei eine zentrale Rolle und erfordert spezifisches Wissen und Fähigkeiten, die traditionellerweise nicht ausreichend in der medizinischen Ausbildung erworben werden. Wie effektiv diese «communication skills» dazu führen, Ängste abzubauen, die Sorgen der Betroffenen zu erkennen, ihre emotionale Situation einzuschätzen und nicht zuletzt die Zufriedenheit der Patienten und ihrer Angehörigen mit der Behandlung zu verbessern, konnte belegt werden [2]. Auf ärztlicher Seite sind situationsbezogen folgende Aspekte prioritär: Entscheidungsfindung, Festlegung der Therapieziele, Überbringen von «bad news», Planen der Therapie am Lebensende (u.a. Patientenverfügung, Verzicht auf Therapien) und das sichere Erkennen und Behandeln verschiedener physischer und psychischer Symptome [3]. Pflegende unterstreichen in ihren Bedürfnissen als grundlegende Komponente der Betreuung von Schwerkranken und Sterbenden die psychologische und spirituelle Unterstützung und die Hilfe im Trauerprozess, die neben dem Patienten und den Angehörigen auch das gesamte betreuende Team umfassen [4]. Von allen Beteiligten positiv beurteilt wird die Möglichkeit, daheim sterben zu können, wenn dies durch Angebote von «palliative care programs» und Hospizen unterstützt wird. Letztere sind in den USA zunehmend verfügbar (PACE: Program of All-inclusive Care for the Elderly). Die Folgen hinsichtlich Belastbarkeit bzw. Bedürfnissen der Betreuenden sind jedoch enorm und wurden in verschiedenen Studien untersucht [5]. Die Debatte um «best end-of-life-care» ist auch in der Schweiz lanciert.

 

Methodik

In jeder der drei Hauptsprachregionen der Schweiz (Lausanne, St. Gallen und Lugano) wurden Fokusgruppen zum Thema veranstaltet. Die lokalen Palliative Care-Teams unternahmen die Selektion der Teilnehmenden für je drei verschiedene Gruppen: Patienten und Angehörige, Pflegende und Ärzte, die jeweils in 50 Minuten unter der Leitung eines projektunabhängigen Gesprächsleiters das Thema reflektierte (Taperecording, anschliessend Volltexttranskript). Aus der Volltextanalyse wurden Grobthemen gemäss den Ergebnissen der Literaturübersicht und nach Befragung der Gesprächsleiter extrahiert, und die verschiedenen Teilaspekte subsummiert.

 

Ergebnisse und Diskussion

Gesamthaft wurden 147 Teilnehmende befragt, darunter 25 Patienten/Angehörige, 64 Ärzte und 58 Pflegende (die letzten beiden Gruppen mit unterschiedlichem Arbeitsumfeld, d.h. von Spitex-/Hausarztebene über Pflegeheim bis zu Spitälern). Die Betroffenen hatten zum grössten Teil Krebsdiagnosen (90%). Durch die Auswahl der Teilnehmenden durch regionale Palliative Care-Institutionen wurde gewährleistet, dass die Teilnehmenden mit dem Fokus dieser Untersuchung, die Situation des Schwerkrankseins, tatsächlich konfrontiert sind; sei es als Betroffene oder als Betreuende. Durch diesen Selektionsweg sind die Ergebnisse vergleichbar, da in allen drei Regionen ähnliche Angebote für Schwerkranke zur Verfügung stehen. Eine Generalisierbarkeit der Ergebnisse a) auf andere Regionen und b) auf andere Diagnosen als Krebs ist nicht gegeben. An übergeordneten Themen ergaben sich für alle Gruppen:

  • der Bereich Dienstleistung: multiprofessionelle, qualitativ hochstehende Palliativangebote
  • der Bereich Information und Entscheidungsfindung
  • der Bereich Unterstützungsmöglichkeit für Angehörige für die Pflege zu Hause
  • der Bereich Strukturelles (inkl. Zeit, Finanzen, Räumliches, Erreichbarkeit, Verfügbarkeit über 24 Stunden etc.)
  • und der Bereich Aus-, Weiter- und Fortbildung

 

Neue Ergebnisse – was bietet diese Studie Neues?

Trotz der eingeschränkten Generalisierbarkeit bietet diese Studie im Vergleich mit der Literatur einige Besonderheiten in der Schweiz, die sich auf folgende Punkte konzentriert:

  • Selbst in den Regionen, in denen Netzwerke der Palliativbetreuung vorhanden sind, sind diese Einrichtungen sowohl bei Ärzten als auch bei den Betroffenen relativ wenig bekannt.
  • Der Wunsch, trotz einer schweren Erkrankung möglichst lange zuhause bleiben zu können, scheint auch in der Schweiz gross zu sein. Eine grosse Unsicherheit besteht aber vor allem bezüglich der Finanzierung und der Verfügbarkeit (24 Stunden) dieser Dienste.
  • Auch die Kooperation zwischen den Netzpartnern scheint vielerorts verbesserungswürdig, insbesondere bezüglich der Frage der Entscheidungsfindung (wer entscheidet?), als auch bezüglich der generellen Kommunikation zwischen den spitalinternen und spitalexternen Angeboten («Schnittstellenproblematik»).
  • Betroffene und Angehörige wünschen sich deutlich mehr, verständlichere und wiederholte Informationen über verschiedene Behandlungsoptionen.
  • Seitens der Betroffenen wird das teilweise ungenügende oder fehlende psychologische Wissen der Betreuenden für solch schwierige Situationen bemängelt.
  • Bei den Betreuern fällt unabhängig von der Sprachregion der Bedarf an Schulung im Kommunikationsbereich auf – was sich mit dem entsprechenden Wunsch der Betroffenen deckt – gleichzeitig sind die Bedürfnisse nach Schulung im Symptombereich im Vergleich zu anderen Ländern eher gering.
  • Hier gibt es insbesondere ein Gefälle zwischen Spitalärzten und Hausärzten: bei Hausärzten scheint das «Symptommanagement» (z.B. Schmerzbehandlung) eher weniger ein Thema als bei den Spitalärzten.
  • Ungenügende Kenntnisse, gerade im Bereich der Schmerzbehandlung bei Schwerkranken, wird insbesondere den Hausärzten seitens der Pflegenden vorgehalten – ihr Wunsch nach mehr Wissen im Schmerzbereich bei den Ärzten zieht sich durch alle Sprachregionen.
  • In den Augen von Patienten und ihren Angehörigen sind Spitäler in der Schweiz viel zu wenig auf die Bedürfnisse von Schwerkranken und deren Familien ausgerichtet: dies beginnt mit räumlichen Problemen (Angehörige können nur im Ausnahmefall «Nachtwache» halten), bis hin zum Vorgehen nach dem Tod; eine schnelle, und häufig herzlose «Entfernung» des Verstorbenen wird neben den Angehörigen auch seitens der Pflegenden kritisiert.

 

Schlussfolgerung

Das Gesundheitssystem der Schweiz scheint für die Betreuung von Schwerkranken bisher nur teilweise gerüstet. Die Vielfalt und Flexibilität der Angebote (intensive Betreuung zu Hause, Hospize, Tageskliniken etc.) scheinen in vielen anderen Ländern mit einem vergleichbaren Gesundheitssystem wesentlich grösser und auch in der Öffentlichkeit bekannter zu sein (wobei in dieser Untersuchung diesbezüglich für die Schweiz eher "Vorzeigeregionen" ausgewählt worden waren).

 

Auch die Qualität der Angebote unterliegt ebenso wenig einer Kontrolle (keine pflegerischen und ärztlichen Fachtitel für Palliative Care wie in vielen anderen Ländern), wie es keine generelle Regelung zur Vergütung der teilweise aufwändigen Pflege bis zum Tod zu Hause gibt. Auch scheinen nur wenige «Diagnosen» (nämlich überwiegend Patienten mit einer Krebsdiagnose) von ohnehin spärlichen Angeboten an Betreuungsnetzen für Schwerkranke und Sterbende zu profitieren. Stichpunktartig sollen nun in einer weiteren Untersuchungsphase diese hypothesenhaften Ergebnisse in anderen Regionen der Schweiz und bei anderen Krankheiten getestet werden.

 

Eines scheint aber jetzt schon klar: der Bedarf an derartigen Angeboten und Leistungen ist auch in der Schweiz gross, wird in Zukunft aus demographischen Gründen eher steigen und in menschlicher UND volkswirtschaftlicher Hinsicht sinnvoll sein .

 

 

Dr. med. Steffen Eychmüller, Oberarzt mbF, Fachbereich Onkologie/Hämatologie, Kantonsspital St. Gallen.

 

 

Weitere Autoren dieser Studie
Pratsch S, Hägi D, Weber O, Dietrich L, Mariolini P, und die Research Gruppe der Schweizerischen Gesellschaft für Palliative Medizin, Pflege und Begleitung SGPMP.


Referenzen
1. Greisinger A et al. Terminally ill cancer patients. Cancer Practice 1997, 5(3): 147- 154.
2. Fallowfield L, Jenkins V. Communicating sad, bad, and difficult news in medicine. Lancet. 2004 Jan 24;363(9405):312-9.
3. Morrison RS, Meier DE. Palliative Care. N Engl J Med 2004, 350; 25: 2582- 2590.
4. Hudson PL et al. Meeting the support needs of family caregivers in palliative care: challenges for health professionals. J Palliat Med 2004, 7(1): 19-25.
5. Kinsella G et al. A review of the measurement of caregiver and family burden in palliative care. J Palliative Care 1998, 14(2): 37-45.

 
Medizin Spektrum
 
04.04.2005 - dde
 



 
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