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Erste Abklärungsschritte bei chronischer Diarrhoe

Chronische Diarrhoe – welch banale Symptomatik –, aber wie häufig löst sie in mir das Gefühl einer Hilflosigkeit aus: im wahrsten Sinne des Wortes nicht «fassbar» und für die meisten ein «pain in the...», …sagen wir einmal, «neck»… Etwa bei dieser 39-jährigen Patientin, die seit drei Monaten unter Durchfall leidet, das heisst drei bis fünf Mal pro Tag wässrige, zum Teil breiige Stuhlentleerungen hat, verbunden mit starken Bauchkrämpfen. Also eigentlich ist nicht jeder Tag gleich schlimm, aber so richtig gut ist es in letzter Zeit auch nicht gewesen, nie Blut am Stuhl und keine Diarrhoe nachts. Sie ist cholezystektomiert, hatte vor drei Jahren ein Ulcus ventriculi, leidet unter häufigen Kopfschmerzen und nimmt deshalb eine ganze Menge an Schmerz- und anderen Medikamenten. Sie trinkt täglich eine halbe Flasche Wein, ist arbeitslos und zurzeit in Scheidung. – …Himmel, wo fange ich an.

 

Definition

Die erste Schwierigkeit beginnt schon bei der Definition der chronischen Diarrhoe. Die überwiegende Mehrzahl der Durchfallerkrankungen ist ja infektiös und hat freundlicherweise einen selbstlimitierenden Verlauf. Wie lange darf man also hoffen, um die Abklärung einer chronischen Diarrhoe herum zu kommen? Wir halten uns da an die britischen Guidelines: «chronic diarrhea may be defined as the abnormal passage of three or more loose or liquid stools per day for more than four weeks and/or a daily stool weight greater than 200 g/day» [1].

 

Das klingt zwar immer noch recht flockig, gibt aber doch einigen Anhalt. Hinsichtlich der Häufigkeit von Stuhlentleerungen wissen wir, wie gross schon die Spannbreite der «normalen» Stuhlgewohnheiten ist: zwischen drei Mal am Tag und drei Mal pro Woche, gilt hier als Faustregel. Umso erstaunlicher ist, in welchem Ausmass die intestinale Wasserbalance reguliert und die Resorptionskapazität des Kolons aufrechterhalten wird:

Tägliche intestinale Wasserbalance
  • Input/24h Wasser (ml)
    - orale Einnahme 2’000
    - Speicheldrüsen 1’500
    - Magen 2’500
    - Gallenwege 500
    - Pankreas  1’500
    - Dünndarm 1’000
    Total an der Bauhin-Klappe 9’000
  • Absorbiert 8’870 (> 98%)
  • Stuhl 130

Von rund 9 Litern Flüssigkeit, die täglich an der Bauhinschen Klappe vorbei das Kolon erreichen, werden über 98% rückresorbiert. Der normale Flüssigkeitsgehalt des Stuhls liegt bei etwa 130 ml/24h, womit ein Anteil von über 200 ml mehr als 3 Standardabweichungen ausmacht und damit die Definition rational begründet. Das alleinige Abstützen auf Symptomangaben führt zu grossen Überschneidungen mit funktionellen Darmerkrankungen, wie insbesondere dem Reizdarmsyndrom, dessen Abgrenzung ohnehin schon schwierig genug ist. Doch die Empfehlung der 24h-Stuhlsammlung - machen wir uns da nichts vor - ist zwar eine einfache, in der Praxis aber extrem schwierig durchzuführende Untersuchung, die auch unter stationären Bedingungen häufig nicht gelingt. Der zweite Symptomenkomplex, der mit einer chronischen Diarrhoe leicht verwechselt werden kann, ist die Inkontinenz, die mit einer zielgerichteten Anamneseerhebung ausgeschlossen werden muss.

 

Die Überschneidung mit diesen beiden häufigen Krankheitsbildern macht es schwierig, die volkswirtschaftlichen Kosten der chronischen Diarrhoe abzuschätzen. Studien aus den USA sprechen von direkten Kosten von bis zu 500 Mio. Dollar pro Jahr, wobei hier auch Patienten mit einem Reizdarmsyndrom und funktioneller Diarrhoe miteinbezogen sein dürften [2].

 

Die Differentialdiagnose der chronischen Diarrhoe ist seitenlang. Aus der Studienzeit sind noch die unterschiedlichen pathogenetischen Mechanismen in Erinnerung, die als sekretorische, osmotische, inflammatorische oder Fett-Diarrhoe zwar dazu beitragen, die unterschiedlichen Ursachen einer Systematik unterzuordnen, für die primäre Abklärung im Alltag aber leider meist wenig hilfreich sind. Aufgrund der Vielzahl zugrunde liegender Ursachen und ihrer unterschiedlichen Prävalenz gibt es bis heute kein standardisiertes Abklärungsschema für die Evaluation dieses Symptoms. Im Folgenden soll daher versucht werden, ein pragmatisches Vorgehen zu skizzieren, das sich an publizierte Empfehlungen anlehnt [3].

 

Anamnese und körperliche Untersuchung

Eine der schwierigsten Fragen bei der Abklärung der chronischen Diarrhoe ist die Differenzierung, ob eine organische oder eher eine funktionelle Ursache vorliegt. Hinweise für eine organische Ursache ist eine Dauer über drei Monate, eine vorwiegend nächtliche Diarrhoe, eine kontinuierliche im Gegensatz zu einer intermittierenden Symptomatik, ein plötzlicher Beginn, ein Gewichtsverlust von über 5 kg und relevante Veränderungen der Blutwerte (CRP, Hb, Albumin). Da eine Vielzahl von Diarrhoe-Ursachen exogener, ja gelegentlich iatrogener Natur sind, sollten solche (Medikamenteneinnahme; Operationen) im Rahmen der Anamnese ausgeschlossen, bzw. in einem ersten Schritt therapeutisch angegangen werden.

Medikamente als mögliche Auslöser einer chronischen Diarrhoe
  • Antibiotika
  • Chemotherapeutika
  • Antidepressiva (Li, SSRI)
  • Antihypertensiva
  • Antiepileptika (Valproat)
  • Cholesterinsenker
  • Orale Antidiabetika (Biguanide)
  • Gastroenterologica (Mg++, 5-ASA)
  • Colchicin
  • Diuretika
  • Theophyllin
  • NSAR (Mephenamin)
  • PPI

Im weiteren gibt die Anamnese die relevanten Hinweise auf ein eventuelles Reizdarmsyndrom oder, im Falle von Blutbeimengungen, auf Alarmsymptome.

Schlüsselfragen in der Anamnese
  • Medikamente, medizinische/chirurgische Vorerkrankungen?
  • Ist die Konsistenz des Stuhls verändert, oder wird Stuhl von
  • normaler Konsistenz häufiger entleert?
  • Diarrhoe oder Inkontinenz? Inkontinenz untertags oder während der Nacht?
  • Wechselt Diarrhoe mit Obstipation ab?
  • Tägliche Frequenz und Periodizität der Symptome? Diarrhoe in der Nacht?
  • Andere Hinweise auf ein Reizdarmsyndrom? Verhältnis zu Abdominalschmerzen, Gefühl der unvollständigen rektalen Entleerung?
  • Blutabgang aus dem Rektum mit oder ohne Diarrhoe?
  • Reiseanamnese, insbesondere Tropenaufenthalte?
  • Hinweise für ein risikobehaftetes Sexualverhalten?
  • Gibt es Hinweise, die auf eine Steatorrhoe hindeuten (ölige, unverdaute Nahrung, schwierig zu spülen oder Gewichtsverlust)?
  • Zusammenhang der Diarrhoe mit Mahlzeiten oder bestimmten Nahrungsmitteln?
  • Symptome von Haut- Augen- oder Gelenkserkrankungen?

Zeichen einer ausgeprägten Malabsorption mit Fettstühlen und Gewichtsabnahme berichtet der Patient häufig ebenfalls von sich aus. In diesem Fall sollte sich die weitere Abklärung primär auf den Dünndarm (obere Endoskopie) und das Pankreas richten, bei Blutverlust per anum ist natürlich eine Kolonoskopie mit Biopsie indiziert (Abbildung 1: Erste Abklärungsschritte nach Anamnese).

 

Die körperliche Untersuchung ist dagegen in der Regel wenig ergiebig. Ödeme oder Nagelveränderungen können auf eine Malabsorption hinweisen, Resistenz oder Druckdolenz im Abdomen auf einen Tumor mit paradoxer Diarrhoe und natürlich darf die Rektaluntersuchung mit einer Beurteilung der Sphinkterfunktion nicht fehlen.

 

Limitiertes Screening

Angesichts der relativen Häufigkeit einer funktioneller Diarrhoe halten wir es bei unauffälliger Anamnese in einem zweiten Schritt für gerechtfertigt, zunächst ein limitiertes Screening auf mögliche organische Ursachen durchzuführen. Diese Screeningabklärungen sind an dieser Stelle aufgelistet:

  • Blutbild
  • Chemogramm, Quick, Fe-Status, β-Carotin, TSH, (HIV), Transglutaminase-AK, (Endomysium AK)
  • Stuhl auf Eier, Parasiten (3x), Clostridien, Calprotectin (?)
  • Kolonoskopie bei Alter > 50 oder positiver Familienanamnese für Polypen oder Karzinom

Die Screeningabklärungen beinhalten neben Blutbild und Chemogramm die Messung von Gerinnungsparametern, Eisenstatus und β-Caroten zur Beurteilung sensibler Parameter einer Malabsorption. Ebenso sollten zu diesem Zeitpunkt eine Hyperthyreose, ein HIV-Infekt, sowie durch die Messung der tissue-Transglutaminase-Antikörper eine Sprue ausgeschlossen werden. Ebenso gehören zum ersten Abklärungsschritt eine Stuhluntersuchung auf Parasiten und Clostridien. Zunehmende Verbreitung findet auch die Messung von Calprotectin im Stuhl, einem Zink- und Calcium-bindenden Protein, das von Neutrophilen und Monozyten sezerniert wird und als Mass für die Neutrophilen-Aktivität verwendet werden kann. Es gibt einen Hinweis auf das Vorhandensein einer entzündlichen Aktivität der Schleimhaut [4]. Die Indikationsstellung zur Kolonoskopie ergibt sich bei älteren Patienten einerseits aufgrund des relativ häufigen Befundes einer kollagenen oder mikroskopischen Kolitis, die nur bioptisch nachgewiesen werden kann, und andererseits aufgrund der altersbedingten Zunahme von Adenomen.

 

Die Resultate dieses limitierten Screenings weisen den weiteren Abklärungen die grundsätzliche Richtung (Abbildung 2: Weiteres Vorgehen nach limitiertem Screening). Patienten mit Hinweisen auf eine chronisch entzündliche Veränderung, eine Malabsorption oder eine Sprue sollten primär endoskopiert und biopsiert werden. Ebenso gehört die Aspiration von Duodenalsekret zum Ausschluss einer bakteriellen Überwucherung zu diesem Untersuchungsgang. Erst in einem nächsten Schritt kann bei diesen Patienten, falls keine Diagnose gefunden wurde, die aufwändige quantitative Fettbestimmung im Stuhl durchgeführt werden, die allerdings nur bei deutlich erhöhten Werten für eine Pankreasaffektion wegweisend ist.

 

Bei Patienten, bei denen lediglich eine Elektrolytverschiebung, insbesondere ein niedriges Kalium vorliegt, kommt die Stuhlsammlung mit Messung der Elektrolyte, pH und Osmolarität zum Zuge. Die Berechnung der osmotischen Lücke nach der Formel: 290 – 2 x ([Na+] + [K+]) differenziert zwischen sekretorischer Diarrhoe (< 50) und osmotischer Diarrhoe (>50 -125). Im seltenen Fall einer sekretorischen Diarrhoe ist die gezielte Suche nach neuroendokrinen Tumoren gerechtfertigt (VIPom, Gastrinom, Carcinoid etc). Bei einer isolierten osmotischen Diarrhoe ohne weitere Entzündungszeichen empfiehlt sich meist eine Untersuchung auf Laxantien.

 

Bei Patienten, bei denen sämtliche Screeninguntersuchungen normal ausgefallen sind, darf im Sinne eines pragmatischen Vorgehens und in der Annahme, dass eine funktionelle Diarrhoe vorliege, eine symptomatische Therapie mit Loperamid versucht werden. Dies allerdings unter den Rahmenbedingungen eines gesicherten Follow-ups, dass die einmal gefasste Arbeitshypothese regelmässig revidiert wird und sich bei Zunahme der Symptomatik oder neu auftretenden Beschwerden weitere gezielte Abklärungsschritte anschliessen.

 

Zu diesen weiterführenden Abklärungsschritten lassen sich letztlich keine allgemeingültigen Empfehlungen abgeben. Neben der quantitativen und qualitativen Analyse des Stuhls gehört hierzu am Schluss eine systematische Suche möglicher Ursachen nach dem Ausschlussverfahren und aufgrund von wegweisenden Resultaten vorgängiger Untersuchungen. Von der Gesamtheit aller Fälle bleiben es jedoch weniger als 5%, bei denen nach einem Durchlaufen der genannten Abklärungsschritte keine Diagnose gefunden werden kann und bei denen aufgrund der Vielzahl an möglichen Ursachen und der praktischen Schwierigkeit einzelner diagnostischer Verfahren am ehesten eine stationäre Abklärung durchgeführt werden muss.

 

PD Dr. med. Ludwig T. Heuss, Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie, Universitätsspital Basel

 


Referenzen

1. Thomas PD et al. Guidelines fort he investigation of chronic diarrhea, 2nd edition. Gut 2003;52:1-15.
2. Sandler R.S. et al. The burden of selected digestive diseases in the United States. Gastroenterology 2002;122: 1500–1511.
3. Camilleri M Chronic Diarrhea: A review on pathophysiology and management fort he clinical gastroenterologist. Clinical Gastroenterology and Hepatology 2004;2:198-206.
4. Vermeire S et al. Laboratory markers in IBD: useful, magic, or unnecessary toys? Gut. 2006 Mar;55(3):426-31.

 

 
Medizinspektrum
 
15.11.2006 - dde
 



 
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