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Zukunft der Infektiologie

Die Infektiologie ist so alt wie die Koch’schen Postulate. Doch das Fach Infektiologie wird sich vermutlich in den nächsten 20 Jahren mehr verändern als in der ganzen Zeit seit der Entdeckung der Antibiotika. Die wichtigste Voraussetzung der boom-artigen Entwicklung der Infektiologie ist vermutlich die Entdeckung der Polymerase-Kettenreaktion (PCR). Diese mit dem Nobelpreis gewürdigte Technik hat die molekularen Verfahren revolutioniert und letztendlich auch ermöglicht, dass das menschliche Genom innert weniger Jahre hat charakterisiert werden können.

 

Die Errungenschaften der Molekularbiologie werden die Zukunft der Infektiologie prägen, wie sonst vielleicht nur die Fächer Pharmakologie und Onkologie. Die Veränderungen, die auf die Infektiologie zukommen, werden die Diagnostik genauso betreffen wie die Therapie. Wir möchten hoffen, dass die Erkenntnisse nicht nur den Patienten in den Industrienationen zu Gute kommen, sondern dass auch Menschen in Entwicklungsländern von diesen Erkenntnissen indirekt profitieren können.

 

HIV – ein neues Virus mobilisiert die neue Technologie

Aufgrund der schweren Folgen der HIV-Infektion wurde die Erforschung von Pathogenese und therapeutischen Ansätzen mit grossen Mitteln vorangetrieben. Diese Forschungsarbeiten waren ein wichtiger Katalysator für die molekularbiologische Forschung. Heute hat in den USA leider die Erforschung von Bio-Terror-Waffen diese Katalysatorrolle übernommen. Anhand der Entwicklungen in der HIV-Forschung werden wir aufzeigen, wie sich die Infektiologie in der Zukunft verändern dürfte.

 

Moderne Erregerdiagnostik – molekulare Identifikation, Quantifizierung und Resistenzprüfung

Die erste Identifikation von HIV gelang noch mit der Zellkultur. Schon das HCV-Virus wurde primär molekular identifiziert und die Methoden sind nun so weit entwickelt, dass der Sars-Erreger in weniger als einem Monat identifiziert wurde. Die Behandlung der HIV-Infektion wurde erst dann wirklich möglich, als man auch die Viruskonzentration und somit die Replikationskinetik quantifizieren konnte. Es mag heute vermessen anmuten, wenn wir behaupten, dass diese Methoden auch die Zukunft der Bakteriologie sein werden, doch wir sind längst auf dem Weg. Die modernen Techniken erlauben es, eine Erregerdiagnostik inklusive Resistenzprüfung auf einem Mikrochip durchzuführen. Resistenzprüfung erfolgt für HIV bereits mehrheitlich mittels Sequenzanalyse des Virusgenoms. Doch im Prinzip wäre die Technik auch für Bakterien zu etablieren.

 

Drug-design – intelligente therapeutische Ansätze

Das erste Antibiotikum war ein reiner Zufall, den wir der Aufmerksamkeit Flemmings zu verdanken haben. Die ersten HIV-Medikamente wurden aus der Schublade genommen und ausprobiert. Doch bereits die Proteasehemmer waren ein erster Schritt in eine neue Zukunft der Medikamentenentwicklung. Die Kenntnis der molekularen Kristallstruktur eines Enzyms oder Rezeptors erlaubt es den Chemikern heute, ganz gezielt nach Strukturen zu suchen, welche die molekulare Funktion des Proteins hemmen. Diese Technologie wird nicht nur die Infektiologie beeinflussen. Medikamente der Zukunft werden ganz gezielt bekannte molekulare Mechanismen beeinflussen.

 

Pharmakologie – von der Messung zur Voraussage

Immer dann, wenn eine minimale Dosis erreicht werden muss, setzen wir heute Blutspiegelbestimmungen ein. Bei HIV haben wir gelernt, dass die interindividuellen Unterschiede weitgehend durch genetische Prädispositionen zu erklären sind. Nicht nur die Wirkspiegel, auch das Nebenwirkungsspektrum eines Medikamentes können im Prinzip durch die Genomanalyse des Patienten erfasst werden. Dies ist eine Information, welche im Prinzip bereits bei der Geburt vorliegt. Es ist denkbar, dass diese Information in Zukunft auch bei der Geburt bestimmt und während dem Rest des Lebens für den korrekten Einsatz und die Dosierung von Medikamenten verwendet wird.

 

Genetische Prädisposition und Krankheitsverlauf

Nicht nur Medikamente sondern auch Keime wirken bei unterschiedlichem genetischem Hintergrund anders. Einige Personen sind aufgrund einer Mutation im CCR5-Corezeptor resistent gegenüber einer HIV-Infektion. Mit einer genetischen Prädisposition lässt sich auch eine Erkrankung am SSSS erklären und auch der Verlauf einer Helicobacter pylori Kolonisation des Magens voraussagen oder die Komplikationen einer Streptokokken-Tonsillitis.

 

Immunantwort – nicht nur Antikörper

Erreger verursachen im Wirt eine Immunreaktion, deren Folgen wir heute praktisch nur für die humorale Antwort messen können. Für HIV haben wir gelernt, das die zelluläre Immunantwort viel wichtiger ist für die Kontrolle einer Virusinfektion. Neuere Methoden können die zelluläre Immunantwort, welche sehr rasch detektierbar ist, direkt messen. Wir werden vermutlich schon bald mittels zellulärer Diagnostik die Tuberkulose-Erkrankung messen können.

 

Doch nicht nur die erregerspezifische Immunantwort der T-Zellen, hat sich vereinfacht. Heute kann die ganze molekulare Maschinerie, welche durch einen Erreger in Gang gesetzt wird, detektiert werden. Dabei werden auf einem sogenannten microarray Tausende von Genprodukten detektiert, d.h. man untersucht welche Enzymsysteme gerade aktiviert sind. Es werden heute Techniken entwickelt, mit welchen voraussagbar ist, welche Personen bei einer Infektion eine Sepsis entwickeln werden und welche nicht. Besonders die chronischen granulomatösen Erkrankungen könnten von solchen Techniken profitieren. Auch wenn kein Erreger detektierbar ist, könnte durch das molekulare Aktivierungsmuster eine Ursache analysierbar und ein therapeutischer Ansatz gezielter werden.

 

Die Zukunft wird morgen anders sein

Die hier skizzierten Methoden dürften futuristisch wirken, sie sind es wohl auch. Doch was heute noch teuer und aufwändig ist, muss in Zukunft nicht so bleiben. Die Computertechnologie hat das Potential der Miniaturisierung sehr gut aufgezeigt.

 

Diese Aufzählung hat auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Der Kongressbericht vom ECMID in dieser Nummer diskutiert auch einen ganz neuen Ansatz, wie über die Beeinflussung des Quorum Sensing eine Infektion beeinflusst werden könnte. Neben all den technischen Entwicklungen der Infektiologie werden sich vermutlich auch Infektionen selbst entwickeln. Ein Teil dieser Aspekte ist im Artikel Viren und Evolution aufgezeigt.

 

 

PD Dr. med. Pietro Vernazza, Dr. med. Katia Boggian, FB Infektiologie und Spitalhygiene, Kantonsspital St.Gallen.



 
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