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IFN b-1a-Präparate bei der Multiplen Sklerose

Eine Vergleichsstudie von zwei Präparaten mit unterschiedlicher Dosierung und Applikation.

Titel

Randomized, comparative study of interferon beta-1a treatment regimens in MS: The EVIDENCE Trial.

 

Autoren

Panitch H, Goodin DS, Francis G, Chang P, Coyle PK, O'Connor P, Monaghan E, Li D, Weinshenker B; EVIDENCE Study Group. Evidence of Interferon Dose-response: Europian North American Compartative Efficacy; the University of British Columbia MS/MRI Research Group.

 

Quelle

Neurology 2002 Nov 26;59(10):1496-506

 

Abstract

 

 

Fragestellung 

Besteht zwischen 2 gegenwärtig zur Behandlung der schubförmig remittierenden Verlaufsform einer Multiplen Sklerose zugelassenen IFN b-1a-Präparaten (Avonex®, Rebif®) unter Berücksichtigung von deren unterschiedlichen Dosierungs- und Applikationsschemata ein Unterschied in Wirksamkeit und Verträglichkeit?

 

Hintergrund

Für den Nutzen einer frühzeitigen Behandlung der schubförmig remittierenden Verlaufsform der Multiplen Sklerose mit IFN b-1a sprechen die Ergebnisse der CHAMPS-Studie, die zur Zulassung des Medikaments Avonex® für die IFN-Behandlung bereits nach dem ersten Krankheitsschub durch die europäische Zulassungsbehörde EMEA geführt haben. Umstritten ist jedoch, ob der Nutzen von IFN b-1a dosisabhängig ist. Bisherige Studien führten diesbezüglich zu unterschiedlichen Ergebnissen.

 

Methoden

Studiendesign 

Multizentrische, einfach (Untersucher) verblindete, randomisierte Vergleichsstudie zwischen 2 zugelassenen IFN b-1a-Präparaten und Dosierungen (Avonex® 30 mg intramuskulär 1 x/Woche vs. Rebif® 44 mg subkutan 3 x/Woche).

 

Setting

677 Patienten ohne vorherige IFN-Therapie mit der Diagnose einer klinisch gesicherten, schubförmig remittierenden MS und einem Grad der Behinderung zwischen 0 und 5.5 auf der EDSS-Skala wurden in 56 Zentren (15 Europa, 5 Kanada, 36 USA) behandelt.

 

Einschlusskriterien

Klinisch gesicherte, schubförmig remittierende MS mit einem Grad der Behinderung zwischen 0 und 5.5 auf der EDSS-Skala, mindestens 2 MS-Schübe in den vorangehenden 2 Jahren.

 

Ausschlusskriterien

Vorgängige Behandlung mit IFN, Cladribine, Bestrahlung des lymphatischen Systems; Behandlung mit anderen Cytokinen oder Glatiramer-Acetat in den vorausgehenden 3 Monaten, mit Immunglobulinen in den vorausgehenden 6 Monaten oder mit anderen Immunsupressiva in den vorausgehenden 12 Monaten.

 

Intervention

Gabe von IFN b-1a/Rebif®, 44 mg subkutan, 3 x/Woche (44 mg sc 3/W) vs. IFN b-1a/Avonex®, 30 mg intramuskulär, 1 x/Woche (30 mg im 1/W).

 

Primärer Endpunkt

Anteil der Patienten ohne erneuten Krankheitsschub nach 24 Wochen.

 

Sekundäre Endpunkte

Schubrate (Anzahl der Schübe pro Patient während der Beobachtungsdauer), Zeitintervall bis zum ersten, erneuten Krankheitsschub, Schweregrad des Schubes, Grad der Behinderung. MRI-Endpunkt: Anzahl der aktiven Läsionen nach 24 Wochen. Weiterhin wurden die Patienten regelmässig hinsichtlich des Auftretens der bekannten IFN-Nebenwirkungen klinisch und laborchemisch untersucht.

 

Beobachtungsdauer

Insgesamt 48 Wochen.

 

Resultate

Patienten

 

 

Basisdaten

Die Basisdaten beider Gruppen waren in bezug auf Alter, Geschlechterverteilung, Krankheitsdauer, Schubrate, Grad der Behinderung und in den MRI-Kriterien vergleichbar.

 

Gruppenvergleich der Endpunkte

Nach 24 Wochen waren 74.9% (254/339) der Patienten in der 44-mg-sc-3/W-Rebif®-Gruppe ohne einen erneuten Krankheitsschub geblieben, verglichen mit 63.3% (214/338) in der 30-mg-im-1/W-Avonex®-Gruppe. Dies entspricht einer Odds Ratio von 1.9 für die Patienten der ersten Gruppe während dieser Zeit schubfrei zu bleiben (p = 0.0005). Auch die Anzahl der aktiven Läsionen in der MRI-Untersuchung nach 24 Wochen war in der 44-mg-sc-3/W-Rebif®-Gruppe geringer (im Durchschnitt 0.8 pro Pt. und Untersuchung vs. 1.2). Dagegen waren lokale Hautreaktionen in der 44-mg-sc-3/W-Rebif®-Gruppe häufiger (83% vs. 28%), ebenso wie ein asymptomatischer Transaminasenanstieg (18% vs. 9%) und abnorme Leukozytenzahlen (11% vs. 5%). Neutralisierende Antikörper konnten nach 48 Wochen in 25% der Patienten der 44-mg-sc-3/W-Rebif®-Gruppe und in 2% der 30-mg-im-1/W-Avonex®-Gruppe nachgewiesen werden (p < 0.001). Insgesamt traten bei 21 (6%) Patienten in der 44-mg-sc-3/W-Rebif®-Gruppe und bei 18 (5%) Patienten in 30-mg-im-1/W-Avonex®-Gruppe schwerwiegende unerwünschte Wirkungen auf, was bei 16 Patienten (4.7%) der ersten und 14 Patienten (4.2%) der zweiten Gruppe zu einem Absetzen der Therapie führte. Die Zahl der Patienten, die dies noch vor Ablauf der Beobachtungsdauer von 48 Wochen tat, betrug 11 in der 44-mg-sc-3/W-Rebif®-Gruppe und 7 in der 30-mg-im-1/W-Avonex®-Gruppe.

 

Diskussion durch die Autoren

Die Autoren sehen in den Studienergebnissen einen Beleg für die grössere Effektivität eines therapeutischen Regimes mit IFN b-1a 44 mg subkutan 3 x/Woche (Rebif®) gegenüber der Alternative IFN b-1a 30 mg intramuskulär 1 x/Woche (Avonex®) in allen primären und sekundären Endpunkten. Als mögliche Erklärung für den Widerspruch zu den Ergebnissen einer in derselben Ausgabe von Neurology veröffentlichen, randomisierten, doppelblinden Studie über 3 Jahre (Avonex® 30 mg im 1/W vs. Avonex® 60 mg im 1/W), die keine Dosisabhängikeit der Wirkung von IFN b-1a hinsichtlich des Fortschreitens des Behinderungsgrades zeigte, verweisen die Autoren auf die mögliche Bedeutung einer höheren Frequenz der Medikamentengabe. Voraussehbarer Kritik an der nur einfachen Verblindung der Studie (die Patienten wussten, zu welcher Therapiegruppe sie gehörten) begegnen die Autoren mit dem Argument, dass dieser Mangel wegen der unterschiedlichen Applikationsweise der Medikamente unvermeidlich gewesen sei und auch durch eine parallele Placebogabe in der 1/W-Gruppe (Double-Dummie-Approach) aufgrund der charakteristischen Nebenwirkungen bei IFN-Gabe nicht hätte vermieden werden können. Die im Vergleich zu anderen Studien kurze Beobachtungsdauer rechtfertigen die Autoren mit dem Argument, dass die generelle Wirksamkeit von IFN b-1a inzwischen hinreichend belegt sei, und dass es in dieser Studie um den Wirkungsvergleich zweier zugelassener Medikamente und deren unterschiedlichen Dosierungs- und Applikationsschemata ging. Mit eben dieser kurzen Beobachtungsdauer begründen die Autoren schliesslich die Wahl der Schubrate als primären Endpunkt, da grössere Unterschiede des klinisch relevanteren Parameters (Grad der Behinderung) in dem relativ kurzen Untersuchungszeitraum nicht zu erwarten gewesen seien.

 

Zusammenfassender Kommentar

Die Studie ist aus mehreren Gründen kritisch zu betrachten. Ein Mangel besteht in der nur einfachen Verblindung, die zulässt, dass die Patienten der 44-mg-sc-3/W-Rebif®-Gruppe sich bewusst sind, mit einer höheren und darum potentiell wirksameren Medikamentendosis behandelt zu werden. Weitere wesentliche Kritikpunkte sind die kurze Beobachtungsdauer und die Wahl der Schubrate als primärer Endpunkt. Ein klinisch relevanterer Parameter zur Beurteilung des Krankheitsverlaufs wäre der Grad der Behinderung gewesen, zumal sich in vorangehenden IFN-Studien gezeigt hat, dass eine Reduktion der Schubrate nicht notwendigerweise mit einer geringeren Behinderung korreliert. Die Bedeutung des vermehrten Auftretens von neutralisierenden Antikörpern bei höheren Dosierungen, wie in der Studie beobachtet, für die längerfristige Wirksamkeit des Medikaments ist unklar. Ein ernstes Problem für die Interpretation der Studienergebnisse ergibt sich zudem daraus, dass in den beiden Gruppen sowohl unterschiedliche Dosierungen, Applikationsarten, -Intervalle und Produkte verwendet wurden, und es mithin unmöglich ist, die beobachteten Unterschiede ursächlich auf einen dieser Parameter zurückzuführen. Die Wirksamkeit der IFN b-1a-Präparate bei der schubförmig remittierenden MS ist unbestritten und aus früheren Studien belegt. Die in der vorliegenden Studie beobachtete Überlegenheit von Rebif® gegenüber Avonex® ist auf Grund der erwähnten Kritikpunkte mit Vorsicht zu betrachten und sollte mit einer doppelblinden Studie mit parallelen Placeboinjektionen in beiden Gruppen untersucht werden.

 

Besprechung von Dr. med. Wolfgang Gerke, MME, Zürich

Neurology 2002 Nov 26;59(10):1496-506 - H. Panitch et al

19.02.2004 - dde

 
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