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Monotherapie mit Gabapentin versus Lamotrigin bei Epilepsie

Eine doppelblinde Vergleichsstudie bei neu diagnostizierter Erkrankung.

Titel

Gabapentin versus lamotrigine monotherapy: a double-blind comparison in newly diagnosed epilepsy.

 

Autoren

Brodie, Martin J., Chadwick, David, Anhut, Henning, Otte, Andrea, Messmer, Silke-Lo, Maton, Stephan, Sauermann, Wilhelm, Murray, Guta, and Garofalo, Elizabeth A. for the Gabapentin Study Group.

 

Quelle

Epilepsia 2002; 43: 993-1000

 

Abstract

 

 

Fragestellung 

Gibt es eine Überlegenheit von Gabapentin (GBP) gegenüber Lamotrigin (LTG) in der Erstbehandlung von Epilepsien mit fokalen Anfällen ohne oder mit sekundärer Generalisierung bei Jugendlichen und Erwachsenen ab dem 16. Lebensjahr?

 

Hintergrund

Während sich LTG unter den neueren Antiepileptika (AED) bereits zur Monotherapie von Epilepsien mit primär fokalen Anfällen etabliert hat, wurde GBP zunächst nur als Add-on-Mittel eingesetzt. Nach Vergleichsstudien mit anderen etablierten AED erfolgte auch für GBP die Monotherapiezulassung, direkte Vergleiche zu anderen neuen AED fehlten aber.

 

Methoden

Studiendesign und Setting
  • Randomisierte Doppelblindstudie im Paralleldesign (Stratifizierung der Patienten in Gruppen mit fokalen und primär generalisierten Anfällen)
  • Multizentrische Studie mit 41 Zentren in Europa (inkl. Schweiz) und Australien
  • 2- bis 6-wöchige Eindosierung auf Zieldosen von entweder 1’800 mg GBP oder 150 mg LTG
  • 24-wöchige Beobachtungsphase mit der Möglichkeit individueller Dosisanpassungen (1’200-3’600 mg GBP und 100-300 mg LTG)
Einschlusskriterien
  • Patienten ab dem 16. Lebensjahr mit einer neu aufgetretenen Epilepsie mit fokalen Anfällen ohne oder mit sekundärer Generalisierung sowie mit «primären» generalisierten tonisch-klonischen (Grand mal-) Anfällen (PGTKA)
  • Patienten mit neu diagnostizierter Epilepsie mussten im letzten Jahr entweder mindestens
    2 Anfälle oder aber einen Anfall und weitere Hinweise auf eine beginnende Epilepsie haben (EEG, Bildgebung)
  • Unbehandelte Patienten mit einer bereits früher gestellten Epilepsiediagnose mussten mindestens einen Anfall in den letzten 3 Monaten haben
  • Keine Vorbehandlung mit Antiepileptika oder keine Behandlung in den letzten 6 Monaten (erlaubt war eine «unzureichende» Anbehandlung von unter 2 Wochen ohne Erreichen des üblichen therapeutischen Bereiches der Serumkonzentration oder eines entsprechenden steady state mit Absetzen bei der Randomisierung)
  • Positives Votum der Ethikkommission und schriftliches Einverständnis der Patienten oder ihrer Eltern
Ausschlusskriterien
  • Patienten bis zu 16. Lebensjahr oder mit «kleinen» primär generalisierten Anfällen (Absenzen oder Myoklonien)
  • Patienten mit Gelegenheitsanfällen (Alkohol, Drogen, usw.) oder akuten symptomatischen Anfällen (Schädel-Hirn-Traumen, akute andere Erkrankungen)
  • In der Anamnese: Status epilepticus, progrediente neurologische Krankheit, frühere Behandlung mit Gabapentin oder Lamotrigin oder einem in der Prüfung befindlichen neuen Medikament (in den letzten 3 Monaten)
  • Bei Frauen: Schwangerschaft oder unzuverlässige Kontrazeption
Intervention
  • Behandlung entweder mit GBP oder LTG
  • Behandlungsbeginn mit entweder 600 mg GBP oder 25 mg LTG/Tag. Dosissteigerung nach einem festen Schema bis auf entweder 3 x 600 mg GBP oder 2 x 75 mg LTG/Tag (Double-Dummy-Design mit Erreichen der Zieldosis für GBP innerhalb von 2 Wochen und derjenigen von LTG innerhalb von 6 Wochen)
  • In der nachfolgenden Beobachtungsperiode konnte die Zieldosis bei Bedarf (weitere Anfälle, Nebenwirkungen) unter Beibehaltung der Verblindung angepasst werden (im Bereich von 1’200-3’600 mg/Tag für GBP und 100-300 mg/Tag für LTG)
Primäre Endpunkte

Zeit bis zum Behandlungsabbruch (berücksichtigt sowohl Wirksamkeit als auch Verträglichkeit), berechnet von der ersten Medikamenteneinnahme aus einem der folgenden Gründe

  • (a) Fehlende Wirksamkeit bei höchst möglicher Dosis,
  • (b) Auftreten eines Status epilepticus,
  • (c) Notwendigkeit der Zugabe eines anderen Antiepileptikums, oder
  • (d) Auftreten nicht tolerabler Nebenwirkungen.
Sekundäre Endpunkte

Sekundäre Zielgrössen für die Beurteilung der Wirksamkeit waren:

  • (a) der Prozentsatz der die Studie abschliessenden Patienten,
  • (b) die Zeit bis zum Auftreten eines weiteren Anfalls,
  • (c) der Prozentsatz der in den letzten 3 Monaten der 30-wöchigen Beobachtungsperiode anfallsfrei bleibenden Patienten, und
  • (d) der Prozentsatz der nebenwirkungsbedingten Studienabbrecher.
Beobachtungsdauer

30 Wochen.

 

Resultate

Basisdaten

Von 315 gescreenten Patienten wurden 309 randomisiert und behandelt (jeweils 3 Patienten ohne Follow-up bzw. ohne Medikamenteneinnahme). Von den randomisierten Patienten (= Intention-to-treat Population) wurden 18 (10 GBP, 8 LTG) wegen Protokollverletzungen von der weiteren Auswertung ausgeschlossen (= auswertbare Population). 202 Patienten der Intention-to-treat Population und 202 Patienten der auswertbaren Population schlossen die Studie ab.

 

Gruppenvergleich der Endpunkte

Die Analyse der Zeit bis zum Behandlungsabbruch (= primärer Endpunkt; Kaplan-Meier-Darstellung) zeigte keinen Unterschied zwischen GBP und LTG. Bei den auswertbaren Patienten betrug die mediane Zeit 69 Tage für GPB und 48 Tage für LTG. Auch eine zusätzliche Analyse (proportional hazards model) zeigte keine Differenz, sondern sprach für eine statistische Äquivalenz beider Medikamente. Auch bei einer Stratifizierung der Patienten in die beiden Gruppen mit fokalen bzw. PGTKA-Anfällen ergaben sich keine statistisch signifikanten Unterschiede.

 

Bei den sekundären Endpunkten bzw. Zielvariablen zeigte eine Kaplan-Meier-Analyse von drei der vier Endpunkte (a, b und d) keine statistisch signifikanten Unterschiede. Auch der Prozentsatz anfallsfreier Patienten in den letzten 3 Monaten der Beobachtungsperiode (sekundärer Endpunkt c) zeigte mit 76.1% für GBP versus 76% für LTG keinen Unterschied.

 

Sowohl Nebenwirkungen generell als auch schwere Nebenwirkungen waren ebenfalls gleich häufig (75.3% und 10.8% für GBP versus 75.5% und 9.3% für LTG). Bei der Häufigkeit eines nebenwirkungsbedingten Absetzens der Medikation zeigte sich ein nicht signifikanter Trend zugunsten von GBP.

 

Diskussion durch die Autoren

Die Autoren interpretieren die Ergebnisse ihrer Studie als Nachweis einer vergleichbaren Wirksamkeit und Verträglichkeit einer Monotherapie mit GBP oder LTG bei Patienten mit neu aufgetretenen fokalen oder primär generalisierten tonisch-klonischen Anfällen. Wegen seiner guten Verträglichkeit und raschen Auftitrierbarkeit könnte GBP aufgrund der Studienergebnisse in der Praxis bevorzugt werden.

 

Zusammenfassender Kommentar

Bemerkungen zum Studiendesign und Beschreibung

Diese Studie ist prinzipiell interessant und methodisch nicht zuletzt auch als Modellstudie für eine Äquivalenzstudie mit dem Ziel des Nachweises einer Gleichwertigkeit von zwei Antiepileptika (hier GBP im Vergleich zu dem häufig schon als Standardtherapie geltendem LTG) wertvoll, bezüglich der Aussagekraft müssen aber einige wesentliche Einschränkungen bedacht werden.


Zunächst einmal wurden (im Gegensatz zum Titel der Arbeit) nicht nur neu diagnostizierte Epilepsien berücksichtigt, sondern es konnten – sofern aktuell unbehandelt – auch Patienten mit schon früher gestellter Diagnose aufgenommen werden.

 

Die Gruppe der Patienten mit PGTKA war viel zu klein (insgesamt nur 58 Patienten!), um eine ausreichende statistische Power für einen Vergleich der Wirksamkeit zu ermöglichen (als Trend fiel dennoch auf, dass ein Studienabbruch bei 5 von 31 Patienten unter GBP gegenüber keinem von 27 unter LTG zu verzeichnen war).

 

Hauptkritikpunkt an der Studie ist, dass es sich überwiegend um sehr leichte Epilepsien bzw. Patienten mit einem ersten Anfall handelte, bei denen definitionsgemäss streng genommen noch überhaupt keine Epilepsie vorliegt. Leider lässt sich deren genaue Anzahl der Arbeit nicht entnehmen, sodass aufgrund der Tatsache von etwa 80% Anfallsfreiheit der Patienten (sowohl unter GBP als auch LTG; Abb. 4b der Arbeit) lediglich vermutet werden kann, dass ihr Anteil relativ hoch war. Wenn aber bei einem Grossteil der Patienten in der Beobachtungsphase der Studie nicht mit einem Anfallsrezidiv gerechnet werden kann, ist es auch nicht sehr wahrscheinlich, dass sich ein Unterschied zwischen zwei Antiepileptika nachweisen lässt.

 

 

Studienbesprechung von Dr. med. G. Krämer, Medizinischer Direktor, Schweizerisches Epilepsie-Zentrum, 8008 Zürich

 

Epilepsia 2002; 43: 993-1000 - M. J. Brodie

18.02.2004 - dde

 
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